aus: ZfBB 27(1980)5, S. 413-17
Rezension (B. Eversberg)

Anglo-American cataloguing rules / ed. by Michael Gorman and Paul W. Winkler. - 2. ed. - London: The Library Association, 1978. - XVII, 620 S. - ISBN 0-85365-681-9

Ein Werk wie dieses auf knappem Raum zu besprechen erfordert strenge Beschränkungen. Viel Wichtiges muß entfallen; auf Äußerlichkeiten wie die Numerierung, die (mißratenen) Kolumnentitel etc. wird. z.B. nicht eingegangen.

Mehrere Gründe sprachen dafür, nach so kurzer Zeit (1967 erschien die erste Ausgabe, im folgenden als A1 zitiert) schon eine ganz neu gestaltete Überarbeitung vorzulegen:

  1. A1 war noch zu buchorientiert in Terminologie und Prinzipien
  2. es gab noch zwei Versionen (die britische und die nordamerikanische)
  3. A1 war nur noch mit etlichen Anlagen (z.B. ISBD) benutzbar
  4. die Praxis ging vielerorts abweichende Wege.

  5.  
Zunächst zur Gliederung: eine schlichte Gegenüberstellung der inhaltlich entsprechenden Kapitel beider Ausgaben und der RAK verdeutlicht schon viele Veränderungen:
     
    AACR 2nd Ed. AACR 1967 RAK
    General Introduction (0.1-14) Introduction  
         
    Part I. Description  Part II. Description*  
    0.21-29 Introduction  Principles for descriptive cataloguing  
    Ch. 1. General rules for description    2.5-6
    2. Books, pamphlets, and printed sheets Ch. 6. Separately published monographs  
    2.12-18 Early printed monographs 8. Incunabula  
         
    3. Cartographic materials  11. Maps, relief models,  
    4. Manuscripts  10. Manuscripts  
    5. Music  13. music  
    6. Sound recordings  14. Phonorecords  
    7. Motion pictures and videorecordings 12. Motion pictures and filmstrips  
    8. Graphic materials  15. Pictures, designs  
    9. Machine-readable data files    
    10. Three-dimensional artefacts    
    and realia    
    11. Microforms  9. Photographic and other  
      reproductions  
    12. Serials  1.6 (entry) and  
      7. (description)  
    13. Analysis  Rule 156 (monographs)  §§165,11
      168 (serials)  175-76 
        623-24, 704
         
    Part II. Headings, uniform titles and references Part I. Entry and heading  
         
    20. Introduction    
    21. Choice of access points  1. Entry  7.
    22. Headings for persons  2. Headings for persons  4.
    23. Geographic names  3.72-74 Geogr. names  3.5
    24. Headings for corporate bodies 3. Headings for corporate bodies 5.
    25. Uniform titles  4. Uniform titles  6.2-4
    26. References  5. References  2.8.2, 7
         
    Appendices  Appendices  
         
    A Capitalization (37 Seiten!)  11. Capitalization  § 117.6
    B Abbreviations  III. Abbreviations  Anl. 4
    C Numerals  IV. Numerals  §206
    D Glossary  I. Glossary  1.
      V. Punctuation and diacritics  
      VI. Rules for entry and heading that differ in the North American text  
    Index  Index  

    * Die Kapitel 10-15 bilden Part III: Non-book materials und enthalten jeweils Beschreibungs- und Eintragungsregeln.

    Die Gliederung folgt jetzt also dem logischen Arbeitsablauf:

        1. Beschreibung,
        2. Entscheidung über Haupt- und Nebeneintragungen,
        3. Wahl der Personen / Körperschaften für die Eintragungen,
        4. Ansetzung.
Einheitssachtitel und Verweisungen (eigentlich zu 3. bzw. 2. gehörig) bilden Sonderkapitel. Fast jedem Abschnitt steht jetzt eine Grundregel voran, die dann konkretisiert und durch Spezialregeln ergänzt wird.

Nun zu einzelnen Problemkomplexen:

Zweck des Regelwerks. Dazu wird keine Angabe gemacht, d.h. es fehlt eine Entsprechung zu RAK § 101 (Section 2 der Pariser Konferenz, "Functions of the Catalogue").

Grundbegriffe. Das Glossar stellt die benutzten Begriffe mit kurzen Definitionen zusammen. Es gibt beachtliche Änderungen von Begriffsinhalten und etliche neue Begriffe. Dazu mehr in den folgenden Abschnitten. Der zentrale Begriff "work" fehlt und wird auch im Text nirgends erklärt! Grundlage für die Beschreibung ist jetzt das "item", das unserer Vorlage entspricht, aber ohne den Begriff "Ausgabe" erklärt wird.

Beschreibung. Es werden drei Stufen der Ausführlichkeit vorgegeben. (Eine Idee Cutters lebt hier wieder auf.) Die erste verzichtet sogar auf Erscheinungsort und Gesamttitelangabe. Kapitel 1 folgt der ISBD(G) und stellt alle materialunabhängigen Regeln zusammen. Die weiteren Kapitel 2-12 bringen dann die materialspezifischen Ergänzungen, jeweils in der gleichen Reihenfolge. Etliche Regeln aus A1 werden in 2-12 fast wörtlich wiederholt, andere lauten stereotyp "man verfahre wie in Kap. 1". Kapitel 11 und 12 folgen zwar auch dem Schema von A1, fallen aber aus dem Rahmen: eine "Mikroform" kann ein Buch, eine Handschrift etc. zur Grundlage haben; die Beschreibung muß dann (vorlageorientiert) sich an 11 halten und das betr. Kapitel, etwa 2, dann ergänzend heranziehen. Dann benötigt man also 3 Kapitel für eine Beschreibung. "Serials" schließlich sind überhaupt kein Material - Serialität ist eine Eigenschaft (was kein anderer als Gorman einmal sehr lichtvoll ausgeführt hat), die bei jedem Material vorkommen kann. Deutlich wird das Problem erstens bei der Frage der Primärquelle (das Titelblatt der ersten Ausgabe, in A1war es die letzte), zweitens daran, daß die Beschreibung ein besonderes Feld erfordert: die "numeric and/or alphabetic, chronological, or other designation area" (12.3), das in 2-11 nicht vorkommt (außer in 3 für Maßstäbe bei Karten).

Kapitel 13 erläutert die Möglichkeiten (ohne irgendwelche Vorschriften zu machen), die es zur Katalogisierung von Bestandteilen einer Vorlage gibt: Aufführung in Fußnoten, Nebeneintragungen, in-Verweisungen, Stufenaufnahmen (letzteres nicht für Unterserien von Zeitschriften!). [u.a. fallen darunter mehrbändige Werke!]

Einordnung. Dieser Teil ist noch sehr "buchspezifisch" und nicht vorlage-, sondern werkorientiert. Der Begriff "work" tritt unvermittelt in 20.1 auf. Es wird freigestellt, zwischen Haupt- und Nebeneintragungen (im folgenden HE, NE) nicht zu unterscheiden und "alternative entries" zu machen. (Anm.: Solange es den NUC gibt und solange z. B. Cutter-Nummern für Signaturen von der HE abgeleitet werden, solange muß es die HE geben.) Die Entscheidungskriterien sind überwiegend inhaltlich, nicht formal angelegt. Den Begriff "Formalkatalogisierung" gibt es im Englischen nicht.

Haupteintragung. Die Wahl der HE beruhte in A1 auf der Unterscheidung von 6 Gegebenheiten (Lubetzky's "conditions") der Verfasserschaft, ergänzt durch Bestimmungen über "authorship of mixed character". Zu letzterem gab es eine allgemeine Anweisung (HE unter der hauptverantwortlichen Person oder Körperschaft, A1, S. 21), die jetzt leider ersatzlos entfallen ist. Die sechste Gegebenheit, "serials", ist weggefallen, d.h. fortlaufende Sammelwerke erfahren keine Sonderbehandlung mehr. Ansonsten bleibt die Substanz der "conditions" erhalten (21.4-7). Aus der neuen Grundregel 21.1 wird aber deutlich, daß es den "corporate author" nicht mehr gibt. "Authorship" kann nur noch einer Person zukommen; das Gegenstück zu unserer "Urheberschaft" heißt "to emanate from a corporate body" (kein Substantiv; Begriff fehlt im Glossar), führt aber nur in inhaltlich abgegrenzten Fällen zur HE. Zwei Beispiele zur Verdeutlichung der Unterschiede: "Capital and equality", ein Parteiprogramm, kommt unter die Partei (RAK: Sachtitel) Journal of the American Chemical Society" unter den Sachtitel (RAK: Körperschaft). Besonders bei fortlaufenden Sammelwerken wird sich die Zahl der HE unter Körperschaft sehr verringern. Allerdings wird nirgends gesagt, wie unspezifische Sachtitel zu ergänzen sind, um eine logische Ordnung zu ermöglichen. Konkurrenz zwischen Person und Körperschaft ist möglich; eine Grundregel hierfür existiert nicht, doch Beispielen entnimmt man (21.4B), daß u. U. ein (RAK-)Verfasserwerk die HE unter einer Körperschaft erhält.

Nebeneintragungen. So schwierig die Bestimmung der HE also ist, so leicht wird es bei den NE: Grundregel 21.29B verlangt - wörtlich - eine NE an jeder Stelle, wo ein Benutzer möglicherweise suchen könnte (I,33A: wo er vernünftigerweise suchen könnte). 21.30 legt dann fest, wo sonst noch ("in addition", 21.29C) NE zu machen sind. Kein Kommentar.

Ansetzung von Personennamen. Hier wird es, so hat man festgestellt, zahlenmäßig die meisten Veränderungen geben. Eine Person wird jetzt unter ihrer "most commonly found" Namensform angesetzt, nicht mehr unter der fullest form". Also statt Thomas Stearns Eliot jetzt T.S. Eliot. Ermittlungsaufwand und Zweifelsfälle dürften zunehmen. Bei persönlichen Namen, Fürsten usw. wird eine gebräuchliche englische Namensform der originalsprachigen vorgezogen (22.3B3). Bei mehrteiligen Namen, früher nach Sprachprinzip gehandhabt, heißt es jetzt sinngemäß in 22.4A: die Ansetzungsform folgt dem Brauch offizieller Verzeichnisse in des Verfassers Sprache oder Herkunftsland. Die Beispiele sind dann, wie in A1, nach Sprache geordnet. Wenn die Person aber ausgewandert ist (22.5D1), soll der Brauch der Wahlheimat maßgeblich sein! Wenn man diese Regeln sorgfältig studiert, muß man sich einmal mehr fragen, ob nicht Staatsbürger- und Sprachprinzip überhaupt fragwürdige Ansätze sind.

Geographische Namen. Diese dienen u.a. als Ansetzungsformen für die betr. Gebietskörperschaften und als Ordnungshilfen für andere Körperschaften (additions to names). Eine englische Namensform wird bevorzugt. Unwillen hat verursacht, daß "Great Britain" jetzt als "United Kingdom" angesetzt werden soll. Dies geht nur aus Beispielen hervor, die Grundregel zur Ansetzung von Gebietskörperschaften (24.3E) ist gegenüber A1 (75.) nur unwesentlich verändert!

Körperschaftsnamen. Wie bei Personen wird die meistgebräuchliche, nicht die offizielle Form benutzt, was dem Beschluß der Pariser Konferenz entspricht (welcher wiederum damals den Vorstellungen der Amerikaner folgte). Die offizielle Form dient tatsächlich nur als letzter Notnagel (24.2D). Ansetzungen unter dem Ort, im amerikanischen Text von A1 noch aus Traditionsgründen enthalten, sind jetzt auf Gebietskörperschaften beschränkt.

Einheitssachtitel. Dessen Gebrauch ist, wie in den RAK, in das Belieben der Anwender gestellt. Er soll anscheinend, wenn überhaupt, dann für die HE benutzt werden (25.21D1 u. 26.4A1). Gesetze erhalten jetzt nach 21.31B1 die HE unter dem EST, worauf in 25 leider nicht noch einmal hingewiesen wird. Der Formaltitel "Laws, statutes, etc." ist abgeschafft. Nur Gesetzessammlungen und Verträge erhalten noch Formaltitel (25.15,16), nicht aber Verfassungen.

Ordnungsregeln und (damit zusammenhängende) Ansetzungsregeln für Sachtitel fehlen. "Filing rules", mit Berücksichtigung von Schlagworteintragungen, wurden inzwischen in England und Amerika ebenfalls neu formuliert. Die Ansetzungsregeln für Namen sind jetzt aber im Hinblick auf die maschinelle Ordnung besser durchdacht als in A1, wenn auch noch nicht ganz konsequent, z.B. bei den römischen Zahlen (C1A). Etliche Einzelheiten, die bei RAK in den Ansetzungsregeln stehen, finden sich infolgedessen, weil man sie zur Verarbeitung nun mal braucht, in den Erfassungsregeln für die MARC-Formate.

Schlußbemerkungen

Die neue Ausgabe zwingt die Bibliotheken zum Katalogabbruch, anders als die erste, die noch mit manchen Kompromissen ("superimposition") die Weiterführung der alten Kataloge gestattete. Nachdem die Library of Congress und die British Library die Einführung auf Druck von unten schon von 1980 auf 1981 verschoben, mehren sich jetzt kompetente Stimmen für einen erneuten Aufschub, bis ausgereifte Systeme für die "authority control" existieren, mit denen die Änderungen an den vorliegenden Datenmengen rationell durchführbar sind. Die LC schätzt, daß auch mit Kompromissen bei 22% der MARC-Sätze eine Ansetzung geändert werden müßte (ohne Kompromisse bei 49%). Zusammenfassend ist festzustellen, ohne hier einer genauen, vergleichenden Analyse vorgreifen zu können, daß die in der ersten Ausgabe bemerkten Gemeinsamkeiten und Annäherungstendenzen zwischen RAK und AACR sich nicht weiterentwickelt haben, eher im Gegenteil, mit Ausnahme der Beschreibungsregeln. Die Schwächen der Pariser Beschlüsse sind leider zum Durchbruch gekommen, und keine Seite kann beanspruchen, sich in allen Punkten eng an das "Statement of Principles" gehalten zu haben, noch jeweils die "richtige" Interpretation gefunden zu haben.