... il catalogo è questo



Dulcamara-Katalog : "Hauptsache, man fühlt sich gut"

Landmann Nemorino kauft vom Alchimisten Dulcamara eine Flasche Elisir d'amore, dessen Konsum (durch ihn selber, wohlgemerkt) ihn mit der angebeteten (reichen) Adina zusammenbringen soll. Zwar ist es nur ein Rotwein-Verschnitt, aber durch Zufälle stellt sich der Erfolg dann doch ein. Da es leicht fällt, zu glauben, was angenehm ist, wird Dulcamara zum Helden des Tages und macht glänzende Geschäfte mit seinem Elixir. Gaetano Donizetti hat mit dem Belcanto-Feuerwerk dieser Oper dem menschlichen Aberglauben ein klingendes Denkmal gesetzt.
Die Rede ist hier von "Virtuellen Katalogen", also solchen, die gar keine sind - sie heißen aber so und jeder nimmt's gern für bare Münze. Es sind quasi Freischütz-Kataloge zum Quadrat, denn die Schwächen und Eigenheiten der automatisch abgefragten einzelnen Kataloge multiplizieren sich. Der Dulcamara-Katalog bietet, unvermeidlich, nur einen undefinierbaren Verschnitt der automatisch abgefragten Einzelkataloge. Eine Registeranzeige gibt es nicht, weil dies sehr viel schwieriger zu entwickeln wäre als ein paralleler Abfrage-Zugang. Dabei wären ineinandergemischte Register wegen der Differenzen zwischen den Katalogen gerade für virtuelle Kataloge besonders hilfreich, das ist aber pure Utopie. Selbstverständlich kommt es auf die Art der Frage an, ob die Ergebnisse als Erfolg gewertet werden können oder ob Vorsicht geboten ist. Erfolge sind nicht ausgeschlossen, ein paar Kenntnisse helfen sehr, aber Mißerfolge sind schwierig zu erkennen - irgendwas kommt ja meistens raus (20-Treffer-Problem!). Und so fühlen sich vermutlich (aber Genaueres müßte eine Untersuchung erst erweisen) viele Ahnungslose (wie Nemorino) bei der Nutzung virtueller Kataloge recht gut. Aber was wirklich vorgeht, und was ihnen entgeht, das sehen sie noch weniger als bei gewöhnlichen Freischütz-Katalogen. Besonders die Schlagwortsuche dürfte in virtuellen Katalogen darunter leiden, dass die einzelnen Kataloge nicht einheitlich sind und dass sie alle keine komplette Abdeckung erreichen. Schlagwortkataloge sind aber ein Thema für sich. 
Damit kein Mißverständnis aufkommt: die Entwickler von Dulcamara-Katalogen sind keine Quacksalber, ihre Leistungen sind unbestreitbar lobenswert, die Problematik ihrer Produkte haben sie nicht selber zu verantworten. Sie könnten nur hier und da die Nutzer ein wenig mehr über die Problematik aufklären.
OPAC-Untersuchungen deuteten stark darauf hin, dass Benutzer von einer vermehrten Inanspruchnahme der Register sehr profitieren könnten. Die Betrachtung der eingegebenen Suchfragen ließ erkennen, dass die Ergebnisse in sehr vielen Fällen nicht optimal gewesen sein können. Nutzer setzen nämlich viel zu selten die Trunkierung ein und geben zu schnell auf, d.h. sind mit der ersten Trefferliste schon zufrieden und machen auch bei negativem Ergebnis oftmals keine weiteren Versuche.
Zettelkataloge hatten auch keine Register, mag man einwenden. Aber sie waren in sich alphabetisch geordnet, man sah dadurch zwangsläufig, was an der Einstiegsstelle davor und dahinter stand und kam ohne ganz präzise Kenntnis eines Namens oftmals an die richtige Stelle, ohne ein Problem zu bemerken. Eine Freischütz-Datenbank entspricht einem Zettelkatalog, den man indirekt benutzt: man sagt einem Bediensteten: "Bring mir alles was unter 'Fellner, Dietrich' steht!" Und er kommt zurück und sagt: "Da steht nix". Stimmt, aber unter 'Fellner, Dieter' und unter 'Fellner, Wolf Dietrich' steht was, das hätte man sofort gesehen, im Zettelkatalog wie auch in einem Register. (Dieser Fall ist nicht erfunden.) 

Der Freischütz-Zugang kommt aus der Vorstellungswelt der relationalen Datenbanken, die "von Natur aus" keine Register zum Blättern haben. Sie erfordern deshalb viel zusätzliche Programmierung, will man Register einrichten, weshalb Entwickler gern zu der Ansicht neigen, man brauche keine Register. Bibliotheken als Auftraggeber sollten das keinesfalls akzeptieren, sondern die Forderung nach Registern in jedem Pflichtenheft als K.O.-Kriterium hervorheben. Mehr zu den Problemen der relationalen Datenbanken wird in einer vergleichenden Übersicht dargestellt.
Datenbankleute (Programmierer) haben die Vorstellung, die Daten seien konsistent (ordentlich und normiert) und die Nutzer wüßten meistens genau, nach was sie fragen müssen. Aus vielen Gründen sind Bibliothekskataloge und ihre Nutzer davon weit entfernt. Zumal wenn die Daten aus verschiedenen Quellen und Zeitepochen kommen: jede Regeldifferenz erhöht die Inkonsistenz. Erschwerend hinzu kommen die Effekte der Rechtschreibreform. Wir haben schon jetzt ein beträchtiches Maß an Inkonsistenz in unseren Datenbanken, und jede Regelwerksänderung (Katalog- oder Rechtschreibregeln gleichermaßen) wird dieses Problem unausweichlich verschärfen.
Andere Web-Datenbanken (fast immer beruhen sie auf SQL), selbst Wörterbücher, haben viel zu oft nichts als eine Eingabezeile oder eine Abfragemaske, keinen Registerzugang. dass die benutzungsfreundlichen Qualitäten, die man mit Registern erzielen kann, noch immer weitgehend unentdeckt sind, gehört zu den ganz großen Rätseln der Web-Szene. Eine mögliche Erklärung ist, dass das Interpretieren und Durchschauen einer alphabetisch geordneten Liste eine Kulturtechnik ist, die nirgends gelernt und von wenigen beherrscht wird (obwohl jeder dann und wann ein Telefonbuch benutzt). Es wird wohl als anstrengender empfunden als das Einwerfen von einem oder zwei Wörtern in ein Eingabefeld  -  denn was könnte einfacher sein? Soll die Maschine doch das Denken übernehmen. Aber es ist immer ein Schss ins Dunkle...
Eine tiefer greifende Erklärung: Das Gehen des vermeintlich einfachsten Weges, das Prinzip des geringsten Aufwands zur Lösung einer Aufgabe ist ein Grundprinzip alles Lebendigen, weil oft von Vorteil im Überlebenskampf. Nur: Manchmal ist ein etwas komplizierterer Weg doch der bessere (sonst wäre das Denken als die komplizierteste Leistung der Natur gar nicht erst entstanden), und das Durchschauen der Vor- und Nachteile verschiedener Wege und das Erkennen von Irrwegen und Selbsttäuschungen  war noch nie so schwierig. Der Verzicht auf das eigene Können und Denken (Devise: "Don't make me think!") ist aber eine geradezu verhängnisvolle Konsequenz des Drangs zum einfachsten Weg (siehe Freischütz) bzw., schlimmer noch, der bekanntlich auch heute noch weitverbreiteten Neigung zum Aberglauben.
Unabhängig davon, und nützlich für beide Zugänge (und davon profitieren dann auch die Dulcamara-Kataloge), braucht man Regeln für das Generieren der Zugriffsregister: wie sollen die Umlaute verarbeitet werden, was soll mit Bindestrichen und anderen Zeichen geschehen, etc. (Auch bei Katalogen ohne Don-Giovanni-Zugang stecken immer Register dahinter, manchmal sind sie zwar technisch so gestaltet (z.B. in relationalen Datenbanken), dass sie nicht als alphabetische Folge gezeigt werden können, die Richtlinien braucht man aber trotzdem oder gerade deswegen.) Eine Arbeitsgruppe der früheren Konferenz für Regelwerksfragen hat Empfehlungen für Stichwort- und Stringregister ausgearbeitet.
Am Rande:
In der Einleitung wurde auf die Problematik gewisser metaphorischer Bezeichnungen hingewiesen, wie "Suchen", "Treffer" und "Relevanz". Mehr zu dem Thema in einem Papier "Wie sagt man's dem Benutzer?"

B. Eversberg,  UB Braunschweig 2002-08-26 / 2004-05-31.